Eine Nacht mit Billy Idol

Eine Nacht mit Billy Idol

Ich sitze während einer erneut verrückt warm-feuchten Tropennacht im Auto, es ist kurz vor Mitternacht, und ich stutze.... Die Stimme aus dem Radio kommt mir irgendwie bekannt vor. Ich rätsle, wippe mit dem Fuss zur fetzigen Musik mit und versuche das Rätsel zu lösen. Mensch, das gibt’s doch nicht, denke ich leicht ärgerlich als der Song seinem Ende entgegen geht, doch da kommt schon die erlösende Antwort vom Radiosprecher. «Das war Billy Idol mit» ..... den Rest habe ich gar nicht mehr wahrgenommen, welcher Titel und so. Irgendwas Neues, gibt’s doch nicht, ich war der Meinung alles von Billy zu kennen...

Schlagartig bin ich in meine Jugend zurückversetzt, ich mit harmlosen 14 Jahren, sitze brav am Schülerpult, als unser Lehrer, den damals keiner so richtig mochte, uns erlaubte das öde, kahle Schulzimmer aufzupimpen.

Keine Ahnung, was er sich vorgestellt hatte, mit meinem provokativen überdimensionalen Poster von Billy Idol hatte er wohl nicht gerechnet. Es war eines dieser grossartigen Poster, wo Billy mit schiefer Lippe und einem Mix aus Schnodderigkeit und Provokation lässig und mit einem Anflug von Gefährlichkeit in die Kamera blickt. Ausserdem trägt er kaum Klamotten, was ich auch grossartig fand. Eigentlich reichte es ja auch, wenn er sein sakrales schwarzes Kreuz um den Hals hängen hatte. Dieses tolle Poster war natürlich der Hammer, da wurde fleissig getuschelt, keiner hat mir wohl zugetraut so was aufzuhängen, geschweige hat sich irgendein Mitschüler vorgestellt, dass ich, die brave, unauffällige «Streberin» zu solch gefährlich, wilden Ausschweifungen fähig war. Ja, da hat sich manch eine/einer getäuscht. Dies war meine Zeit, wo ich Karate entdeckte und mich tatsächlich jeden Donnerstag mit seltsamen Typen in einer muffigen unterirdischen «Katakombe» traf, um eigenartige Bewegungen zu trainieren.

Ich kapierte schnell, eine neue Frisur musste her, und irgendwie, vermutlich hat mich der blondierte punkinspirierte dornenähnliche Kamm auf Billy’s Kopf inspiriert, zum Frisör zu marschieren und mir eine neue Frisur verpassen zu lassen. Es war ein Freitag im Winter, als ich voller Freude nach der Schule zum Salon ging.

Meine Mutter wusste, dass ich an diesem Tag etwas Besonderes vorhatte und gab mir voller Vorfreude etwas Geld mit. Ich ging zum gleichen Typen wie immer, Dennis glaube ich, ein sehr netter Kerl, der weiche, mittellange Locken hatte wie ein Schaf. Eigentlich sah er aus wie der Sänger Meat Loaf, in seinen schrecklichsten Zeiten. Schnell hatte ich meine Vision erklärt und liess ihn schnippeln. Währenddessen las ich interessiert was wieder alles in der Welt geschah und nahm mir bereits das nächste Heft. Irgendwie ging’s heute verdammt lange, dachte ich mir im Stillen. Ich hörte sein Atmen, das eher einem unregelmässigen Schnauben glich und irgendwann legte er tatsächlich seine Utensilien zur Seite und kündigte erschöpft das Ergebnis an. Ich blickte in den Spiegel, gut, sehr gut, das gefiel mir. Um mir den Hinterkopf und Nacken zu demonstrieren, griff er nach einem Spiegel und hielt ihn hin.

Man glaubt es nicht, bis man es selbst erlebt, ich hätte Schreien können vor Entsetzen, mir wurde abwechselnd heiss und kalt... Von Natur aus dunkelblond, hätte man meinen können, im Nacken überhaupt kein Haar mehr zu haben, so kurz war dies abgeraspelt. Ich sah aus wie ein KZ-Sträfling, dies war nun wohl auch Dennis aufgefallen und halbherzig bot er mir an, die kaum sichtbaren hellblonden Haare einfach einzufärben... Ich schlug dieses überaus grossherzige Angebot aus, schnappte mir meinen Schal, wickelte diese Katastrophe ein und schlich mit schlechtem Gewissen nach Hause.

Meine Eltern erwarteten mich bereits, zaghaft zog ich den Schal vom Genick... Den Blick meines Vaters kann sich, glaube ich, keiner vorstellen, zum Glück war meine Mutter fortschrittlicher und mutiger eingestellt, sie fand’s modern! Mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung verschwand ich in meinem Zimmer und schloss die Türe, ohne sie zuzuknallen. (Dies hatte mein Vater mir und meiner Schwester von Anfang an abgewöhnt!) Ich schmiss mich dafür umso vehementer auf mein Bett und heulte ein paar Tränen, bis meine verschwollenen Augen zur Wand blickten, zu Billy natürlich, der dort in seiner besten Pose mit hochgereckter Faust und am Boden kniend, aufgekratzt und wild ins Mikro brüllte und es dauerte nicht lange, bis White Wedding laut aus meinem Zimmer schallte...

Ja, dies war eine von vielen Erinnerungen, die mich in jener Nacht auf dem Weg nach Hause mit einer Mischung aus Erheiterung und Wehmut überkamen. Meine Güte, was war dies für eine Zeit! Die ganze Zukunft lag noch vor einem, was man in der Jugend weder schätzte noch freudig wahrnahm. Das Gegenteil war eher der Fall, man kämpfte mit dem Erwachsenwerden und nahm alles und jeden tierisch ernst.

Als ich zu Hause ankam, musste ich natürlich sofort Billy googeln, musste wissen wie er aussah, was er inzwischen machte und fand überrascht heraus, dass er nach einer sehr langen Auszeit doch seit Jahren bereits wieder Songs schrieb und auch auf Tournee ging, ruhiger diesmal, und freudig stellte ich fest, dass er aus seiner stürmischen, aufreizenden Zeit seine einst so coole und freche Oberlippe kaum eingebüsst hatte und diese noch immer mit einer scharfen Mischung aus Trotz und Abgeklärtheit zum Besten gab. «Bitter Taste», der Song aus dem Radio wurde in jener Nacht zu meinem musikalischen Mantra, und gleich wie andere seiner Songs in meiner Jugend, spielte ich ihn dutzende Male hoch und runter...

Einfach grosse Klasse, diese Nacht mit Billy Idol!

 

Copyright Yvonne Kunz 7.10.2022